Apotheken-Sterben nimmt rasant zu

07. Juni 2024

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Die Lage der Apotheken vor Ort ist äußerst angespannt. Eine chronische Unterfinanzierung, bei der das Apothekenhonorar seit 2004 stagniert, kombiniert mit Fachkräftemangel, dem fehlenden Inflationsausgleich und der Krise durch Lieferengpässe, führt dazu, dass immer mehr Apotheken schließen müssen. Im vergangenen Jahr gingen in Deutschland rund 500 Apotheken verloren, das entspricht der kompletten Apothekenzahl des Bundeslandes Thüringen. Und das Apotheken-Sterben geht rasant weiter: Laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) schließt in Deutschland durchschnittlich alle 17 Stunden eine Apotheke. 

Die Sicherheit des Apothekennetzes und damit eine gute Arzneimittelversorgung der Bürgerinnen und Bürger ist hochgradig gefährdet. Das Apothekennetz ist auf den niedrigsten Stand seit 1979 gefallen. Diese Entwicklung ist dramatisch – nicht nur für die Apotheken, sondern vor allem für die Bürgerinnen und Bürger, deren Versorgung auf dem Spiel steht. Trotz alarmierender Fakten und zahlreicher Proteste hält die Regierung an ihrer Sparpolitik fest – das muss sich dringend ändern. 

Warum sind Apotheken vor Ort wichtig?

Die Apotheke vor Ort ist eine unverzichtbare Säule des Gesundheitssystems, die rund um die Uhr – auch nachts und an Wochenenden – erreichbar ist. Täglich benötigen 3,3 Millionen Menschen in Deutschland eine nahegelegene Apotheke, die ihnen Versorgung und Beratung bietet – das leisten nur die Apotheken vor Ort. Dank ihrer heilberuflichen Kompetenz und lokalen Verankerung können Apothekerinnen und Apotheker besonders leicht zugängliche Angebote machen, die die Menschen tatsächlich erreichen. 

Apotheken bieten Beratung zur Anwendung, Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneimitteln. In Deutschland sind über 100.000 verschiedene Arzneimittel zugelassen. Nicht alle Medikamente sind miteinander verträglich, daher klären Apothekerinnen und Apotheker – gegebenenfalls in Rücksprache mit dem Arzt – über die richtige Anwendung, Wirksamkeit, Verträglichkeit und mögliche Wechselwirkungen auf. So gewährleisten sie einen sicheren Umgang mit pharmazeutischen Produkten.

Neben der gesetzlichen Aufgabe, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen, bieten Apotheken auch pharmazeutische Dienstleistungen und stellen jährlich rund elf Millionen individuelle Rezepturen her. Diese Dienstleistungen sind essenziell für eine flächendeckende und kompetente Arzneimittelversorgung, die nur von Apotheken vor Ort gewährleistet werden kann.

Das jährliche Steueraufkommen der Apotheken beträgt allein durch Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuer etwa 13,4 Milliarden Euro. Zusätzlich kommen noch Einkommen- und Lohnsteuerzahlungen durch die Beschäftigten in den Apotheken hinzu. (Quelle: Destatis, ABDA-Schätzung).

Apotheken tragen maßgeblich zur Einsparung von etwa 5,8 Milliarden Euro jährlich im Gesundheitssystem bei, indem sie Rabattverträge umsetzen. Diese Sparverträge der Krankenkassen spielen eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der Krankenversicherungsbeiträge. Die Krankenkassen selbst sparen durch die Rabattverträge rund 5,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ohne die aktive Umsetzung dieser Verträge durch die Apotheken wären diese Einsparungen nicht möglich.

Apotheken bieten wohnortnahe und familienfreundliche Arbeitsplätze. Das Apothekenteam besteht aus verschiedenen Berufsgruppen, wobei stets ein Apotheker anwesend ist, um die hohe Kompetenz sicherzustellen. Annähernd 160.000 Menschen sind in Apotheken tätig. Der Frauenanteil liegt bei knapp 90 Prozent.

Die Sache mit den „Apothekenpreisen“

In der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) ist gesetzlich festgelegt, dass „zur Berechnung des Apothekenabgabepreises von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein Festzuschlag von 3 Prozent zuzüglich 8,35 Euro zuzüglich 21 Cent zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes zuzüglich 20 Cent zur Finanzierung zusätzlicher pharmazeutischer Dienstleistungen … sowie die Umsatzsteuer zu erheben“ ist (Stand: 2022). Diese Regelung gilt für alle verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel, ist bundesweit einheitlich und gilt auch für ausländische Versandapotheken.

Der Apotheker ist „auf der Verkaufsseite“ preisneutral, da der gesetzlich vorgeschriebene Festzuschlag unabhängig vom Grundpreis des Arzneimittels erhoben wird. Durch das Verbot von Natural- und Barrabatten ist die Apotheke auch „auf der Einkaufsseite“ preisneutral, wodurch der Festzuschlag gemäß AMPreisV einem Fixhonorar entspricht.

Häufig wird in der öffentlichen Diskussion nicht zwischen dem Apothekenanteil am Verkaufspreis der Arzneimittel und dem tatsächlichen Gewinn der Apotheken unterschieden. Aus dem Apothekenfestzuschlag sind nämlich die gesamten Betriebskosten der Apotheke zu decken. Die Arzneimittelabgabe ist beratungsintensiv. Eine große Zahl hoch qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlägt sich deshalb auch in den Personalkosten nieder.

Ein Beispiel zur Preisgestaltung einer Apotheke 

Die Apotheke kauft ein Medikament vom Großhändler für 50 Euro. Die Apotheke darf 3 % und den Apothekenzuschlag aufschlagen (8,35 Euro a). Pro Packung werden zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes 21 Cent aufgeschlagen. Das Geld fließt in den Nacht- und Notdienstfond. Aufgeschlagen werden außerdem 20 Cent Förderzuschlag für pharmazeutische Dienstleistungen. Auch dieser Betrag verbleibt nicht bei der Apotheke die das Arzneimittel abgegeben hat, sondern wird ebenfalls in den Nacht- und Notdienst-Fonds geleitet, aus dem die Erbringung dieser Dienstleistungen vergütet wird. Schließlich wird noch die Mehrwertsteuer erhoben. Bei einem Einkaufspreis von 50 Euro bleiben insgesamt etwa 9,85 Euro (1,50 Euro (3 Prozent) plus 8,35 Euro) bei der Apotheke, die das Medikament verkauft. Das gilt allerdings nur für Privatpatienten, bei Arzneimitteln für gesetzlich Versicherte wird noch ein Abschlag von 2 Euro abgezogen, damit die Krankenkassen den Preis an die Apotheken schnell erstatten. Damit wird der Aufschlag also von 8,35 Euro auf 6,35 Euro reduziert. In diesem Fall bleiben noch 7,85 Euro in der Apotheke hängen.

Von diesem Verdienst müssen die Apotheken ihre Betriebskosten decken, wie Personal, Miete, und andere Ausgaben. Der tatsächliche Gewinnanteil ist daher deutlich geringer. Bei den gesetzlich Versicherten treten die Apotheken zudem in Vorleistung und tragen ein Inkassorisiko, ohne dafür honoriert zu werden.

„Die Kosten explodieren. Die Ausgaben sind in den letzten Jahren massiv gestiegen – beispielsweise die Kosten für Gehälter oder für Strom. Diese Ausgaben lassen sich heute nicht mehr mit der Auflage von 8,35 Euro finanzieren, die 2004 festgelegt wurde“, erklärt Dr. Silke Pieper-Walter von der Sonnen-Apotheke. Arzneimittel, für die Anwender keine Beratung benötigen wie Dauermedikationen oder Medikamente für die Hausapotheke, werden von Verbrauchern in Online-Apotheken bestellt. „Wir kümmern uns um all das, was die Onlineapotheken nicht machen: um anspruchsvolle und beratungsintensive Medikationen, um Betäubungsmittel, deren Lagerung und Abgabe mehrfach gegengezeichnet und protokolliert werden muss oder individuell angefertigt Rezepturen. Das alles braucht viel Zeit. Der Verkauf weniger beratungsintensiver Medikamente sorgt für unser Grundrauschen, wenn das noch wegbricht, wird es immer schwieriger. Mit dem Verkauf von Aspirin und Kosmetik können wir unsere Apotheke nicht am Laufen halten.“

Das sind die Positionen der Apothekerschaft

Um Patientinnen und Patienten weiterhin und trotz Lieferengpässen versorgen zu können, brauchen die Apotheken mehr Entscheidungsfreiheiten. Die Teams müssen auf Basis ihrer pharmazeutischen Expertise beispielsweise selbst entscheiden können, ob sie die Darreichungsform eines Medikaments wechseln. Ziel muss eine schnelle und flexible Versorgung sein, wobei Strafzahlungen von Krankenkassen (Retaxationen) ausgeschlossen werden sollten.

Ein Inflationsausgleich ist dringend erforderlich, etwa durch eine deutliche Senkung des Kassenabschlags oder eine Maßnahme mit ähnlicher Wirkung in der Arzneimittelpreisverordnung. Zudem müssen Skonti im Verhältnis zwischen Apotheke und Großhandel erlaubt bleiben. 

Was kann der Endverbraucher tun?

„Die Menschen können mit ihren Rezepten, Einkaufswünschen, Sorgen und Nöten zu uns kommen“, sagt Silke Pieper-Walter. „Wer nachts eine Notfall-Apotheke vor Ort haben möchte, sollte sie auch tagsüber besuchen und dort kaufen. Nur hier bekommt er eine Same-Day-Lieferung. Oft lohnt auch beim frei verkäuflichen Sortiment ein genauerer Blick: Zahncreme ist meist nicht teurer als im Drogeriemarkt. Und eine qualifizierte Beratung gibt’s kostenlos dazu: beispielsweise als Hautanalyse zur Wahl der passenden Hautcreme. Sollte sie wider Erwarten doch nicht vertragen werden, kann man sie bei uns umtauschen. Auch bei Nahrungsergänzungsmitteln wissen wir, welche Wirkstoffe wie im Körper ankommen. Das ist anders als bei der Brausetablette vom Discounter, die oft einfach nur durch den Körper gespült wird. Auch für junge Menschen werden immer mehr Angebote entwickelt. Apotheke ist nicht nur etwas für alte oder kranke Menschen, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung. Wir müssen heute dafür sorgen, dass auch für die jüngere Generation noch in Zukunft eine stabile Arzneimittelversorgung durch eine ausreichende Anzahl an Apotheken gewährleistet ist.“