Lieferengpässe – die Situation

24. Januar 2023

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Bei etwa 400 Humanarzneimitteln (ohne Impfstoffe) gibt es laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) momentan Lieferengpässe in Deutschland – Tendenz steigend. Was bedeutet das für Erkrankte? Dr. Silke Walter, Inhaberin der Sonnen-Apotheke, gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie sieht die Situation in der Sonnen-Apotheke aus?

Momentan kommen die betroffenen Arzneimittel gar nicht oder kontingentiert in den Markt. Dass bei uns ein Kinderarzt im Haus ist und besonders Kinder-Fiebersäfte und Kinder-Antibiotikasäfte von den Lieferengpässen betroffen sind, macht es besonders schwierig. 

Wie wird damit umgegangen?

Bisher konnten wir zum Glück immer noch liefern oder Alternativen aufzeigen: Bei Ibuprofen-Saft in einer geringeren Konzentration wird eine höhere Dosis genommen (2 Löffel statt einem). Manche Kinder können auch schon Tabletten einnehmen (zum Beispiel 1/2 Tablette Paracetamol ab 4 Jahren oder 1/2 Tablette Ibuprofen ab 6 Jahren) oder Zäpfchen statt Saft, auch wenn diese scheinbar nicht besonders populär sind. Auch einige Antibiotika sind betroffen wie z. B. Amoxicillin, Penicillin oder Cotrimoxazol; hier kann man bei größeren Kindern zum Teil auf Tabletten zurückgreifen. Die Menschen sind deutlich mehr krank, letztens hatte ein Kind zum dritten Mal Scharlach in diesem Winter. 

Wie beunruhigend ist die Situation wirklich? 

Ich finde es schon beunruhigend, aber es ist ein Problem, das langfristig aufgebaut wurde durch Sparmaßnahmen der Regierung/BMG und der Krankenkassen. Wenn ich einen 100-ml-Paracetamol-Saft über ein Kinderrezept abgebe und die Krankenkasse bezahlt mir dafür weniger als 2 Euro, kann es nicht funktionieren. Ich als Apothekerin muss daran verdienen, der Großhandel möchte verdienen und auch der Hersteller. Der Hersteller muss die Rohstoffe kaufen, lagern, prüfen, den Saft herstellen, Beipackzettel rechtskonform erstellen, drucken und braucht einen Umkarton. Dann verkauft er es an den pharmazeutischen Großhandel, der lagert es und schickt es zu uns. Wir bearbeiten die Ware, lagern sie und verkaufen sie (irgendwann). 

Was sind die Ursachen für die Lieferengpässe? 

Der Fokus lag jahrelang auf einer möglichst billigen Produktion. Die Wirkstoffe werden überwiegend in China und Indien produziert – die Corona-Problematik dort und die damit verbundenen Produktionsausfälle sowie die „China first“-Politik mit Exportstopps für bestimmte Wirkstoffe wie Paracetamol erhöhen die Problematik bei uns. Gleichzeitig erhöht sich bei uns momentan der Bedarf. In den letzten zwei Jahren waren deutlich weniger Menschen krank – eventuell haben die Firmen aufgrund dieser Erfahrung auch mit einer geringeren Produktion für dieses Jahr geplant. 

Welche Medikamente betrifft es? 

Im Bereich der Hausapotheke sind vor allem Fiebersäfte und -Zäpfchen mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen betroffen, außerdem Kinder-Antibiotikasäfte und einige Antibiotika in Tablettenform für Erwachsene. 

Sollte ich mir bestimmte Medikamente auf Vorrat zulegen? 

Eine Packung Paracetamol und eine Packung Ibuprofen sollte man immer in der Hausapotheke haben, unabhängig von den Lieferschwierigkeiten. 

Gibt es eine Aussicht auf Besserung der Situation? 

Wir bekommen stückweise wieder Packungen in den Markt … Noch nicht wieder alles, aber meist finden wir eine Alternative. 

Was geschieht, wenn mein gewünschtes Medikament nicht mehr lieferbar ist?

Wir besprechen mit dem Arzt eine Alternative, z. B. ein anderes Antibiotikum. Oder wir nehmen statt einem Fiebersaft Zäpfchen für die Kinder bzw. halbe Tabletten für die Größeren. Im Bereich der Blutdruck- und auch Magensäuresenker können wir zum Teil auf andere Hersteller zugreifen, dann sehen die Packung und auch die Tabletten etwas anders aus, aber der Wirkstoff ist identisch. Manchmal importieren wir auch Arzneimittel aus dem Ausland. Das bedeutet für alle ein Umdenken, aber gemeinsam finden wir eine passende Lösung.